Seit 2021/22 leitet ein neues Team um den Londoner Regisseur Walter Sutcliffe die Oper Halle. Die »Opernwelt« brachte seine Philosophie in einer ihrer Rezensionen auf den Punkt: »Eine der schlüssigsten, schlauesten Händel-Inszenierungen der letzten Zeit, die auch jungen Leuten gefallen dürfte.«

Ästhetische Opulenz, Spielfreude, Ensemblepflege und verständliche Inhalte, die hier und heute relevant sind, sind unser Markenzeichen. Wir zeigen nur Stücke, die zu sehen sich lohnt. Für das Schauvergnügen steht ein fester Stab internationaler Bühnen- und Kostümbildner*innen, die an den großen Häusern und Festivals der Welt arbeiten. Sie kommen regelmäßig und gern nach Halle und gehören zu unserer künstlerischen »Familie«: die Polin Dorota Karolczak, der Schweizer Kaspar Glarner, die Briten Gideon Davey und Jon Bausor.

Über uns

Auch bei unseren Regisseur*innen setzen wir auf Konstanz: Walter Sutcliffe, Hausregisseurin Louisa Proske, Katharina Kastening, Keith Warner, Patric Seibert arbeiten kontinuierlich mit unserem zwölfköpfigen Ensemble, Chor, Extrachor, Kinder- und Jugendchor, Statisterie der Oper Halle. Im Zentrum ihrer Inszenierungen stehen die Singschauspieler*innen, spannende Geschichten und intelligente Ideen.

2022 werden Fabrice Bollon, seit 2009 in Freiburg i.B. tätig, neuer Generalmusikdirektor und Michal Sedláček, seit 1999 am Ballett Rossa, neuer Ballettdirektor. Die 18-köpfige Compagnie wird in Ballett Halle umbenannt, bringt zwei Neuinszenierungen pro Spielzeit heraus und lädt internationale Choreograf*innen wie Angelin Preljocaj und Václav Kuneš ein.

Was bisher geschah

2016-2021: Florian Lutz
Bühnenraum-Entwerfer Sebastian Hannak überbaut das Parkett der Oper Halle. Er verschränkt Bühne und Zuschauerraum zu einem »demokratischen Totaltheater«: Die Idealstadt »Heterotopia«, die sich im Laufe der Intendanz zur Ruinenlandschaft »Babylon« wandelt. Sie wird 2017 mit dem »Faust«-Theaterpreis ausgezeichnet. Hier begegnen sich Zuschauer*innen, Performer*innen und sämtliche Sparten der TOOH (Theater, Oper und Orchester GmbH Halle) interaktiv. Hier finden Uraufführungen, Stück-Überschreibungen, Medienopern, Raumbühnen-Projekte, Performances, ganznächtliche Meetings, Diskussionen statt. Mit der auf vier Abende verteilten Dekonstruktion »L’africaine« nach Meyerbeer knüpft Lutz, Sohn eines einflussreichen Opernkritikers, an die Arbeit Christoph Schlingensiefs an. Im Laufe der Intendanz wechseln sich Perioden, in denen die Installation aufgebaut ist, mit solchen, in denen die Guckkastenbühne bespielt wird, mehrfach ab.

2009-2016: Axel Köhler
In seine Spielzeit fällt nach genau 100 Jahren die zweite Aufführung des »Rings des Nibelungen« (2010-2013) in Halle. Karl-Heinz Steffens, ehemaliger Solo-Klarinettist der Berliner Philharmoniker, seit 2007 GMD der Oper Halle, hat die Koproduktion mit dem Theater im Pfalzbau Ludwigshafen auf den Weg gebracht. Hansgünther Heyme inszeniert. Andreas Schager singt den Siegfried.

Köhler, der Oper Halle seit 1984 als Bariton, seit 1987 als Altus verbunden, setzt die Händel-Pflege seiner Vorgänger fort. Sie ist seit Gründung der jährlich wiederkehrenden Händel-Festspiele 1952 gesetzt und macht die Identität der Oper Halle aus. Darüber hinaus besteht Köhlers Spielplan aus populären Opern, Operetten, Raritäten und zeitgenössischen Werken, von denen sein Nachfolger Florian Lutz zwei inszeniert. Auch diese ausgewogene Mischung eines der breiten Bevölkerung verpflichteten Spielplans gehört zur Tradition der Oper Halle.

1991-2007: Klaus Froboese
Der Berner Oberspielleiter strukturiert das Haus nach der Wende um.

  • Seit 1993 spielt das Händelfestspielorchester auf historischen Instrumenten und arbeitet konsequent mit spezialisierten Dirigenten der historisch informierten Aufführungspraxis.
  • Nicht nur die jährlichen Händel-Opern, auch der Großteil des Repertoires mit Ausnahme des unterhaltenden Genres werden ab jetzt in der Originalsprache einstudiert.
  • Von den fünf Uraufführungen der Ära Froboese wird Detlev Glanerts »Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung« 2001 vom Publikum besonders gefeiert und von der Bayerischen Theaterakademie mit dem Theaterpreis ausgezeichnet.
  • Bergs »Wozzeck«, Strawinskys »Geschichte vom Soldaten«, Ullmanns »Kaiser von Atlantis« und Rihms »Jakob Lenz« erleben ihre Hallesche Erstaufführung.
  • Die Ballett-Sparte wird gestärkt, Ralf Rossa 1998 ihr neuer Ballettdirektor.
  • Die in der DDR erfolgreiche Musical-Schiene wird mit einer bis zwei Produktionen jährlich fortgesetzt.
  • Neu hinzu kommt eine Kinderopernpremiere pro Spielzeit.
  • Der jährlich ausgerichtete Opernball wird zum neuen gesellschaftlichen Treffpunkt der Stadt.
  • Im Goethe-Theater Bad Lauchstädt, wo Goethe 1794 seine Bearbeitung der »Zauberflöte« inszenierte, startet Froboese einen Mozart-Zyklus.

Der Intendant arbeitet mit den Generalmusikdirektoren Wolfgang Balzer (1990-1993), Johan M. Arnell (1993-1996), Roger Epple (1996-2004), Klaus Weise (2004-2007) und Karl-Heinz Steffens (2007-2013) zusammen.

1991: Das seit 1951 (siehe dort) »Theater des Friedens« genannte Haus wird in Opernhaus Halle umbenannt.

1994: Das seit 1957 (siehe dort) »Händelfestspielorchester« genannte Orchester des Hauses, das trotz seines Namens ganzjährig alle Stücke und Konzerte spielt, wird in Orchester des Opernhauses Halle umbenannt. Der Name »Händelfestspielorchester« bleibt dem auf historischen Instrumenten spielenden Orchester der Händel-Festspiele vorbehalten. Die Mitglieder sind mit dem Orchester des Opernhauses Halle bzw. der Staatskapelle identisch, die Instrumente nicht.

1998: Die Händel-Halle als neues Konzerthaus eröffnet. Ihr Bau ist vor allem Heribert Beissel, dem Chefdirigenten des Philharmonischen Orchesters Halle zu verdanken. Heute spielt die Staatskapelle hier ihre Sinfoniekonzerte.

2006: Das Philharmonische Orchester Halle und das Orchester des Opernhauses Halle werden zur Staatskapelle Halle fusioniert.

2008: Oper, Ballett, Staatskapelle, Schauspiel (Neues Theater), Kinder- und Jugendtheater (Thalia-Theater) und Puppentheater werden unter dem Dach der TOOH (Theater, Oper und Orchester GmbH Halle) zusammengeschlossen. Die Sparten behalten eigene Künstlerische Leiter.

1979-1990: Christian Kluttig
Der Dresdner, seit 1983 Generalmusikdirektor der Oper Halle, kommt mit 36 Jahren aus Karl-Marx-Stadt (Chemnitz) an die Saale. Er treibt die von Thomas Sanderling 1968 begonnene Erneuerung des durch Horst-Tanu Marggraf geprägten »Halleschen Händel-Stils« energisch voran und macht die Geburtsstadt des Komponisten zu einem Zentrum historisch informierter Aufführungspraxis in der DDR. Das Händelfestspielorchester spielt nicht mehr in der über 70-köpfigen romantischen, sondern in verschlankter Besetzung auf modernen Instrumenten.

Kluttig arbeitet sich mit seinen Musiker*innen immer tiefer in Stil und Spielpraxis der Händel-Zeit ein, holt Spezialist*innen aus dem In- und Ausland zu Workshops, unterstützt individuelle Fortbildungsreisen der Orchestermitglieder und Sänger*innen. 1989 studiert Eduard Melkus aus Wien, einer der Pioniere der Barockvioline, Reinhard Keisers »Croesus« in Halle ein. In der DDR werden Opern generell auf deutsch gesungen, um niemanden auszuschließen. Kluttig experimentiert bei Händel mit deutsch-italienischen Mischfassungen, bei denen die Arien in der Originalsprache, die Rezitative auf Deutsch erklingen.

An der szenischen Modernisierung des Händel-Stils arbeiten seit 1968 Wolfgang Kersten, seit 1984 Peter Konwitschny (»Floridante«, 1984; »Rinaldo«, 1987; »Tamerlano«, 1990). Letzterer wird 1986 Hausregisseur, bringt bis 1990 fünf Inszenierungen in Halle heraus und fördert als Mentor Martin Schüler. Kluttig holt Sänger*innen wie Annette Markert und Hendrikje Wangemann direkt von der Leipziger Hochschule ins Ensemble, lädt Simone Kermes ein und hat mit dem Bariton Axel Köhler, der 1987 seinen Fachwechsel zum Altus vollzieht, einen festangestellten Countertenor am Haus. Darüber hinaus dirigiert er, wie es Tradition am Hause ist, das breite Repertoire von Gluck bis zur Uraufführung von Reiner Bredemeyers »Candide« (1986).

Exkurs: Vormärz in der DDR
Drei Dinge sind bemerkenswert an der Oper Halle in den letzten Jahrzehnten der DDR.

1. Widerstand: Im Oktober 1984 hat Karl Ottomar Treibmanns Oper »Der Preis« Premiere. Sie wurde 1980 in Erfurt uraufgeführt, handelt vom Verrat der Intellektuellen an den Arbeitern und illustriert laut Erläuterung des Komponisten im Programmheft den Umstand, »dass es viele Menschen gibt, die trotz der Vorzüge der Gesellschaft Selbstkritik sehr ernst nehmen«. An den »aleatorischen« Stellen der Partitur, an denen die Musiker*innen frei improvisieren dürfen, spielen einige von ihnen die Nationalhymne der Bundesrepublik. Das Ministerium für Staatssicherheit registriert das Geschehen, greift aber nicht ein. »Der Preis« wird 10 Mal in Halle aufgeführt.

2. Unerwünscht: Am 4. November 1977 erlebt Awet Terterjans (1929-1994) Oper »Der Feuerkreis« unter Hans-Jürgen Wenzel in Halle ihre deutsche Erstaufführung. Es ist erst die zweite Produktion des Werks nach der Uraufführung 1967 in Jerewan. Terterjans minimalistische Ästhetik in der Linie Arvo Pärts und Valentin Silvestrovs passt nicht zur spätromantischen Doktrin des Sozialistischen Realismus. Wenzel, seit 1962 am Landestheater engagiert, lernt den armenischen Kollegen anlässlich eines dreimonatigen Arbeitsstipendiums des Armenischen Komponistenverbandes 1975 im Kurort Dilishan kennen.

Die Hallesche Erstaufführung ermutigt Terterjan, eine zweite Oper zu schreiben. Speziell für Halle. In deutscher Sprache: »Das Beben« nach Heinrich von Kleists Erzählung »Das Erdbeben in Chili«. Sie soll 1986 hier herauskommen, tut es aber nicht, und wird erst 2003 posthum in einer Inszenierung Claus Guths am Münchner Gärtnerplatztheater als Sensation gefeiert.

3. Beliebter Klassenfeind: Ab 1966 werden von einem eigenen, auf diesen Stil spezialisierten Vokal- und Instrumentalensemble nahezu jedes Jahr Broadway-Musicals in langen Serien über viele Spielzeiten hin gespielt:

1966: »My Fair Lady«
1970: »Kiss Me, Kate!«
1971: »Hello, Dolly!«
1972: »Show Boat«
1973: »Der Mann von La Mancha«
1974: »Der Zauberer von Oss«
1974: Cole Porters »Can-Can«
1976: »Cabaret«
1976: Loessers »The Most Happy Fella«
1981: »Annie, Get Your Gun!«
1983: »Irma la Douce«
1983: Kanders »Alexis Sorbas«
1987: »My Fair Lady«
1987: »Sweet Charity«
1988: »They’re Playing Our Song«
1989: »I Do, I Do«
1990: »Rocky Horror Show«

Die Massierung dieser Titel belegt die große Nachfrage nach dem Blick über die Mauer und die Bereitschaft der Regierung, trotz unvermindert heftiger Kalter-Krieg-Rhetorik Devisen für Tantiemen bereitzustellen. Wir wissen durch Norman Manea aus Rumänien, dass der Geheimdienst derartige ideologische Widersprüche einsetzte, um Druck aus dem Kessel zu lassen und die Lage zu stabilisieren.

Ebenso zahlreich wie die amerikanischen Titel, sind die Versuche ostdeutscher und osteuropäischer sozialistischer Kreationen auf dem halleschen Unterhaltungsspielplan. Sie sollen nach dem Willen der Partei amerikanische Musicals und spätbürgerliche Operetten überflüssig machen – sogar Künnekes »Vetter aus Dingsda« ist politisch unerwünscht. Sie und ihre Autoren sind mit Ausnahme Gert Natschinskis heute aber alle vergessen. Das Fehlen amerikanischer Musicals zwischen 1977 und 1980 geht auf das innenpolitische Beben nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 und den 30. Jahrestag der Gründung der DDR 1979 zurück, zu dessen Anlass gefordert wird, die Errungenschaften des eigenen Staates sichtbar zu machen.

Der Anteil von Operetten- und Musical-Vorstellungen auf dem Spielplan des Landestheaters Halle schwankt in den 70er und 80er Jahren zwischen 40 und 50 %. 1972 wird ein eigenes »Unterhaltungsorchester des Landestheaters Halle« in den Spielkörper integriert.

1968-1976: Thomas Sanderling
Der 23jährige Sohn Kurt Sanderlings kommt 1966 vom Vogtlandorchester Reichenbach nach Halle. Er hat in Wien Herbert von Karajan und Leonard Bernstein assistiert. Das Orchester testet ihn bei der letzten Premiere der Spielzeit 1965/66 (Gotovacs jugoslawische Volksoper »Ero der Schelm«), in der auch Renate Oeser, die erste Regisseurin der Oper Halle, ausprobiert wird. (Im 19. Jahrhundert wurden die auch in Halle gastierenden Schauspielgesellschaften oft von Frauen geleitet.) Sanderling überzeugt und wird 1966 als Kapellmeister engagiert. Als Horst-Tanu Marggraf 1968 in den Ruhestand geht, übernimmt Sanderling die volle Verantwortung.

Auch für ihn ist Händel Neuland und Chefsache. Er dirigiert sämtliche Händel-Opern seiner Ära und leitet gemeinsam mit dem Regisseur Wolfgang Kersten und den Bühnenbildnern Bernd Leistner und Reinhart Zimmermann die oben beschriebene Wende in der Händel-Interpretation ein. Nachdem Marggrafs »Halleschem Händel-Stil« der Atem der Neuentdeckung ausgegangen war und die Mauer den Blick nach Westen erschwert, stagniert er in routinierter Wiederholung desselben.

Sanderling holt 1971 Spas Wenkoff aus Magdeburg nach Halle. Der bulgarische Heldentenor erregt 1975 mit seiner glutvoll-südlichen Stimme in Harry Kupfers Dresdner Sex-und-Drogen-»Tristan« Aufsehen und wird (samt Regisseur) sofort nach Bayreuth engagiert. Weitere Stationen sind Frankfurt, München, Wien, Hamburg, Berlin, Met. In Halle debütiert er als Lurcanio in Händels »Ariodante«. Es folgen Hans in der »Verkauften Braut«, Stewa in »Jenufa«, Henri in Puccinis »Mantel«, Verdis »Don Carlos«, der Titelheld in Hans-Jürgen Wenzels Uraufführung »Die Geschichte vom alten Adam«. Deren Libretto nach Erwin Strittmatter erzählt von den Diskussionen und Problemen, die der Versuch auslöst, ein Dorf ans elektrische Netz anzuschließen. Den Besucher*innen der Bezirksparteischule Ballenstedt missfällt, dass der Titelheld, ein Gammler, ihre Gesellschaft schlecht repräsentiert und ihm zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird. Wenkoff verabschiedet sich 1976 als Hermann in Tschaikowskis »Pique Dame«, um ins Ensemble der Ostberliner Staatsoper zu wechseln.

1950-1968: Horst-Tanu Margraf
Ab 1949 wird das bis auf die Außenmauern zerstörte Stadttheater wiederaufgebaut. 1951 wird es als »Theater des Friedens« mit »Fidelio« eröffnet. Sein neuer Name dient der Propaganda. Er soll die Bevölkerung zwei Monate später bewegen, bei der »Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Deutschlands« für den Abschluss eines Friedensvertrags mit ganz Deutschland, also für die Wiedervereinigung unter Stalins Bedingungen zu stimmen.

Generalmusikdirektor Horst-Tanu Margraf aus Remscheid, NSDAP-Mitglied seit 1. Mai 1933, SED-Mitglied seit 1951, entdeckt seine Liebe zu Händel. Die seit 1922 unregelmäßig durchgeführten Händel-Festspiele finden ab 1952 jährlich statt. Das Opernhaus ist für die Wiederbelebung der Bühnenwerke zuständig. Von ihnen stehen jedes Jahr zwei bis drei auf dem Spielplan. Ab 1968 auch im frisch renovierten Goethe-Theater Bad Lauchstädt. Sie erreichen teilweise Aufführungsserien bis zu über 40 Stück und werden auch auf Gastspielen gezeigt. Schöpfer des »Halleschen Händel-Stils« sind Margraf, der Hallesche Regisseur Heinz Rückert und der Bühnenbildner Joachim Heinrich, der 1955 einer der wichtigsten Mitarbeiter Walter Felsensteins an der Komischen Oper Berlin wird.

Alle Werke werden auf Deutsch, mit in die tiefen Männerlagen transponierten Kastratenpartien und romantischer Klangästhetik aufgeführt. Margraf komponiert Zusatzstimmen hinzu und füllt die Harmonien auf. Da-Capo-Arien werden neu textiert, dass sich die Worte im Wiederholungsteil nicht wiederholen. Die »Redeweise« der Figuren soll »natürlicher« klingen als im Original. Das Orchester umfasst über 70 Musiker*innen. Es spielt moderne Instrumente in moderner Stimmung. Allerdings experimentiert man von Anfang an mit Theorben, Chitarronen, Cembalo und erkundet historische Instrumente und Spielweisen. Anregungen kommen von der Musikwissenschaft (auch von der ostdeutschen!), der Begegnung mit englischen Originalklangensembles und dem Studium einschlägiger Traktate. 1962/63 beherrschen 29 der 82 Orchestermitglieder Barockinstrumente wie Viola d’amore, Oboe d’amore, Blockflöte, Diskanthorn, Diskantposaune, D-Trompete, Gambe und Violone. Sie werden jedoch nur als »Spezialeffekt« in Einzelarien und -Nummern eingesetzt.

1957 wird das gesamte Opernorchester, egal ob es Mozart, Mussorgski oder Moderne spielt, in Händelfestspielorchester umbenannt (bis 1994). Das verleiht ihm »nationale« Bedeutung, reiht es in die höher dotierte »Sonderklasse« ein und berechtigt es als Propagandainstrument zu höheren Bezügen.

Auch, wenn Margrafs künstlerischer Eros Händel gilt, dirigiert er das gesamte Spektrum der Opernliteratur, um den Anforderungen eines Landestheaters an die künstlerische Grundversorgung einer Industriestadt und ihrer Umgebung zu genügen: Verdi, Wagner, Strauss, »Carmen«, »Fra Diavolo«, »Fledermaus«, »Boris Godunow«, »Jenufa«, Dessaus »Lukullus«, zum 47. Jahrestag der »Großen Sozialistischen Oktoberrevolution« Prokofjews Durchhaltesaga »Die Geschichte vom wahren Menschen«, »Freischütz« und immer wieder »Fidelio«.

Der 21-jährige Harry Kupfer verdient sich 1956 bis 1959 als Regieassistent seine Sporen in Halle und inszeniert hier 1958 seine erste Oper.

1945-1950: Nach dem Zusammenbruch – Keine Stunde Null
Am Morgen des 31. März 1945 wird das Opernhaus zerbombt und brennt bis auf die Außenmauern aus. Die 30 verbliebenen Mitglieder des Städtischen Orchesters spielen von Juli bis September 1945 wieder in der Stephanuskirche, im Burghof Giebichenstein, im Solbad Wittekind am Zoo und ein Sinfoniekonzert unter Hermann Abendroth im Großen Saal des Volksparks. Der spätere Dirigent Klaus Tennstedt und sein Vater Hermann sitzen am 2. Geigenpult. Der 19-jährige Merseburger wird hier – mit einem Heidelberger Intermezzo 1946 bis 1948 – zum Kapellmeister aufsteigen, bevor er 1954 nach Karl-Marx-Stadt wechselt und nach seiner Übersiedlung in den Westen eine Weltkarriere beginnt.

Leitung und Opernensemble sind aus alten und jungen Künstler*innen gemischt. Sie spielen unter Hanns Epstein und Ernst Kramer, ab 1946 unter Walter Schartner und Georg C. Winkler winters im Thalia-Theater, sommers open air unter der Burg Giebichenstein. Für Regie ist seit 1941 Heinz Rückert verantwortlich, für die Bühnenbilder Paul Pilowski. Rückert geht 1947 nach Leipzig, kehrt 1951 als Professor für Opernregie an die Musikhochschule Halle zurück, ist 1955 bis 1958 Regisseur und Leiter des Nachwuchsstudios der Komischen Oper Berlin, ab 1959 an der Deutschen Staatsoper Ostberlin. Zu seinen Schülern gehört Wolfgang Kersten, Operndirektor in Halle von 1967 bis 1970.

Halle ist ein Reservoir, aus dem Walter Felsenstein laufend Nachwuchs schöpft. Hier haben neben vielen anderen die 17-jährige Anny Schlemm (1946-1949), der 21-jährige Kurt Masur (1948-1951), die 27-jährige Irmgard Arnold (1947-1950), der 28-jährige Werner Enders (1952-1956) und der 36-jährige Heinz Sauerbaum (1938-1949), um nur die berühmtesten zu nennen, begonnen. Umgekehrt werden in Halle viele Opern und Operetten in der Felsenstein-Fassung nachgespielt. Teilweise sogar in seinen nachgebauten und -geschneiderten Bühnenbildern und Kostümen.

1886-1945: Das aktuelle Theater
Das Haus, das wir heute bespielen, trat 1883-1886 an die Stelle eines hölzernen Vorgängerbaus. Es wurde von der Kommune als Stadttheater errichtet. Heinrich Seeling gewann den Wettbewerb. Der Berliner Architekt schuf die erste voll elektrische Bühne Deutschlands. »Holz wurde durch Eisen ersetzt, Menschenkraft durch die Kraft hydraulischer Maschinen, mit deren Hilfe man fünf Segmente der Bühne als Podeste ausfahren, versenken, in Schrägstellung und sogar in schaukelnde Bewegung versetzen konnte. An die Stelle der Gassenbühne trat der Rundhorizont.« (Margrit Lenk) Der Strom wurde mittels zweier Dampfmaschinen von 60 PS im eigenen Keller erzeugt.

Benno Koebke war der erste Operndirektor. Er übernahm später die Berliner Kroll-Oper und die Münchner Kammerspiele. Georg Unger, Bayreuths erster Siegfried, sang in der Eröffnungsvorstellung den Florestan. Gespielt wurde Beethovens »Fidelio«.

1897-1915: Halle und Bayreuth
1897 bis 1915 pflegte Intendant Max Richards enge Kontakte zu Bayreuth. Er erhielt dafür mehrere Orden. 1900 stemmte er den »Ring des Nibelungen« mit Bayreuther Gästen, einen Monat nach Ablauf der Schutzfrist 1914 »Parsifal« in der Bayreuther Originalbesetzung, 1915 zum Abschied »Tristan«. Strauss‘ »Salome«, »Elektra«, »Rosenkavalier« und »Ariadne« erschienen jeweils kurz nach der Uraufführung auf unserer Bühne. Strauss selbst dirigierte zwei Sinfoniekonzerte und zwei Opern, darunter seine Bearbeitung der »Iphigenie auf Tauris« von Gluck. Außerdem kamen Dirigenten wie Artur Nickisch, Felix von Weingartner, Hans Pfitzner, Max von Schillings. Ottilie Metzger begann 1898/99 ihre große Karriere in Halle, der Wagner-Sänger Walter Soomer gehörte dem Ensemble 1902 bis 1906 an.

1915-1945: Wind von rechts
Auf Richards folgt 1915 bis 1922 Leopold Sachse. Er lädt den Direktor der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein, Paul Thiersch, ein, expressionistische Bühnenbilder und Bauhaus-Ideen am Stadttheater zu verwirklichen. Zu seinen größten Entdeckungen gehört die Hochdramatische Sopranistin Frida Leider, die ihre Bühnenkarriere 1915/16 in Halle beginnt. Sachse wird Anfang 1922 von rechtsradikalen Kreisen vertrieben und leitet bis 1933 die Hamburger Oper. 1935 bis 1945 ist er Oberspielleiter der Metropolitan Opera New York, anschließend leitet er Opernklasse der Juilliard School.

Auf Sachse folgt im Mai 1922 Willy Dietrich, der das Haus bis 1945 leitet. Seine größte Leistung ist die Erhaltung des Stadttheaters, das infolge der Weltwirtschaftskrise 1929 geschlossen werden soll. Unter ihm beginnt die Hallesche Händel-Opern-Renaissance, die von Privatdozenten der Universität angestoßen wird. Ende Mai 1922 kommt erstmals seit 1733 Händels »Orlando« wieder auf die Bühne (4 Vorstellungen). Bis zur Zerstörung des Hauses werden in unregelmäßigen Abständen sieben Werke in 10 verschiedenen Einstudierungen gezeigt. Dietrich bemüht sich in den 20er Jahren um einen ausgewogenen Spielplan aus modernen und konservativen bis rechten Stücken. Die Ensembles von Alexander Tairow, Konstantin Stanislawski und Luigi Pirandello gastieren an unserem Haus. Brecht/Weills »Dreigroschenoper« steht ein Jahr nach ihrer Uraufführung auf dem Spielplan. In den 30er Jahren ist Fritz Wolf-Ferrari, der Sohn des Komponisten Ermanno Wolf-Ferrari, Spielleiter der Oper. Der 24-jährige Ferdinand Frantz, Furtwänglers späterer Wotan, findet 1930 bis 1932 in Halle sein zweites Engagement.

Wie alles begann

1300-1800: Mittelalter und Barock
Die Oper steht in der langen Tradition der Musik- und Theaterstadt Halle. 1300 bezeugt das Schöffenbuch Spielleute. Ab 1461 stellt der Stadtrat Musiker ein. Kardinal Albrecht macht die Salzstadt 1520 zu seiner Lieblingsresidenz und veranstaltet Geistliche Spiele. Die Salzsieder spielen Handwerkertheater, Luthers Wittenberger Studenten begründen die Schultheatertradition. Ihre Theaterumzüge sind legendär: 1602 beteiligen sich 130 Spieler, 30 Pferde, 7 Chöre und Orchester mit zahlreichen Theaterwagen. 1663 werden eigene »Komödienklassen« an den Schulen eingerichtet. Einer der Ahnherren des deutschen Berufstheaters geht aus ihnen hervor: Johannes Velten.

Die absolutistischen Fürsten feiern Geburten, Taufen, Hochzeiten und Rangerhebungen mit feudalen Theaterfesten, so Christian Wilhelm von Magdeburg 1616 die Geburt seiner Tochter. Das »Sing-Ballett der 9 Nymphen« ist eine Frühform der deutschen Oper. 1654 gründen Samuel Scheidt und andere eine Hofoper. Für sie werden Bühnen an die Moritzburg an- und in der Residenz eingebaut. Seine Schüler Johann Philipp Stolle und David Pohle leiten sie. 1680 zieht sie nach Weißenfels um. Halle wird brandenburg-preußisch, die Universität als Hochburg der aus Leipzig verjagten frühaufklärerischen Pietisten gegründet. Leider sind sie Theaterfeinde. Die Komödianten weichen ins Umland aus, z.B. in das 16 km entfernte Kur- und Heilbad Lauchstädt, wo seit 1761 Theater und Oper gespielt wird, seit 1791 von Goethes Weimarer Ensemble, seit 1802 in einem von Goethe entworfenen Theaterbau.

1811-1883: Ein Arzt rettet die Oper
Halle erhielt 1811 wieder ein eignes Theater. Es wurde jedoch nur während der Badesaison von reisenden Gesellschaften bespielt. Initiator war ein Arzt. In den ersten vier Spielzeiten kam Goethes Truppe aus Weimar und spielte dessen Opern- und Schauspielinszenierungen. Stadtkapelle und Stadtsingechor übernahmen unter Leitung des Stadtmusikdirektors Chor- und Orchesteraufgaben. In letzterem sang der junge Carl Loewe, Schüler der Franckeschen Stiftungen, bis zu seiner Übersiedlung 1820 nach Stettin mit. Das Publikum folgte den Aufführungen im trüben Dämmerlicht und in der stickigen Luft qualmender Öllampen. Standort des »Schauspielhauses« war das Grundstück, auf dem heute die Universität steht. Nachdem es Ende 1827 verkauft und abgerissen wurde, baute eine private Aktiengesellschaft sieben Jahre später an der Stelle, wo heute die Oper steht, ein neues. Es war ganz aus Holz, eine Art größeres Bad Lauchstädt, mit steilen Treppen und engen Korridoren, im Sommer brütend heiß, und hieß im Volksmund »die Kunstscheune«. Die Musikalische Leitung wurde dem 20-jährigen gebürtigen Hallenser Friedrich Wilhelm Stade übertragen. Er war so gut, dass das Publikum die Ouvertüren da capo verlangte.

Noch in der ersten Spielzeit erlebte hier am 30. Juni 1837 Beethovens »Fidelio« seine hallesche Erstaufführung, nachdem schon seit 1814 Ausschnitte in Konzerten erklungen waren. Albert Lortzing gastierte seit 1839 laufend als Sänger und Dirigent eigener und fremder Werke. Wagners erster Rienzi, Tannhäuser, Lohengrin Josef Tichatschek kam Anfang 1842 und stürzte den Direktor mit seinen Launen in den Bankrott. Wilhelmine Schröder-Devrient begeisterte die Hallenser 1844 in vier verschiedenen Rollen. Unter Direktor Friedrich Lorenz gehörten 1842 bis 1844 Albert und Johanna Wagner zum Ensemble. Albert, der spielgewandte Tenor, war Richards ältester Bruder. Johanna, Alberts Tochter, begann mit 15 Jahren in Halle ihre glanzvolle Karriere. Richard besuchte die Familie im Juni 1842 auf der Durchreise von Paris nach Dresden und las ihr den »Tannhäuser« vor. Johanna wurde seine erste Elisabeth. Als erste Wagner-Oper wurde in Halle 1872 »Lohengrin« gespielt. In kleiner Besetzung im engen Holztheater. Das muss wunderbar geklungen haben.

Boris Kehrmann